Der erste Entwurf des Parteiprogramms der “Alternative für Deutschland” ist vorgelegt. Wo liegen die programmatischen Unterschiede zu den anderen deutschen Parteien? Ist die AfD wirklich eine “Alternative” für Deutschland?
Es gibt also tatsächlich einige Ähnlichkeiten zwischen den Parteiprogrammen. Hypothese: Die AfD hat sich beim Schreiben ihres Parteiprogramms klar von anderen inspirieren lassen, neue politische Ideen finden sich nicht.
Lügenpresse! Die Auswahl der ähnlichen Abschnitte ist subjektiv!
Die dargestellten Auszüge der ähnlichen Abschnitte aus den Parteiprogrammen sind nur ein Auszug und als solcher natürlich immer mit Vorsicht zu genießen. Die Analyse beruht auf dem jeweils aktuell gültigen Parteiprogramm der CDU, SPD, Grünen, FDP, LINKE, NPD und AfD. Da es oft schwierig ist, eine ganze Partei hinter einem Grundsatzprogramm zu vereinigen, sind diese Dokumente teilweise älterer Natur. Das Programm der CDU stammt beispielsweise aus dem Jahr 2007, das der Grünen aus dem Jahr 2002.
Um die Ähnlichkeit politischer Aussagen aus den Parteiprogrammen zu bestimmen, haben wir eine robuste datengetriebene Methodik entwickelt. So können sämtliche Passagen, die eine inhaltliche Ähnlichkeit aufzeigen, schnell identifiziert werden. Dies gilt für Ähnlichkeiten zwischen allen Parteien. Sie können sich also selbst ein Bild verschaffen und weitere spannende Parallelen entdecken. (großer Bildschirm hilfreich):
Jetzt mal Klartext: Ist die AfD wirklich so ähnlich zu anderen Parteien?
Es gibt offensichtlich sehr ähnliche Passagen. Unsere Analyse zeigt, dass sich politische Aussagen nicht eindeutig ihrem parteipolitischen Ursprung zuordnen lassen. Insbesondere bei einer Partei wie der AfD, die eine neue politische Heimat für ehemalige Mitglieder von Parteien aus dem gesamten Spektrum ist, ist es wenig verwunderlich, dass sich diverse Ideen anderer Parteien auch im AfD-Parteiprogramm wiederfinden.
Um zu schauen, inwiefern sich die AfD tatsächlich unterscheidet, haben wir die Aussagen der jeweiligen Parteiprogramme auf einem Links-Rechts-Spektrum untersucht.
Aber wie kann man “linke” und “rechte” Aussagen unterscheiden?
Für Menschen ist es relativ einfach, bestimmte Aussagen im politischen Spektrum zu verorten - wobei dies bei extremen Parolen einfacher ist, als bei moderaten Aussagen. Für Computer hingegen ist dies intuitiv schwieriger, aber sie können die menschliche Bewertungslogik lernen. Im Manifesto-Projekt# (Volkens, Andrea / Lehmann, Pola / Matthieß, Theres / Merz, Nicolas / Regel, Sven / Werner, Annika (2015): The Manifesto Data Collection. Manifesto Project (MRG/CMP/MARPOR). Version 2015a. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)) haben Sozialforscher Parteiprogramme, Wahlprogramme und sonstige Dokumente der deutschen Parteien per Hand kodiert. Das heisst, jeder Satz wurde auf dem politischen Spektrum eingeordnet. Basierend auf diesen Daten haben wir einen “Classifier” trainiert, der jeden möglichen Satz automatisch auf dem politischen Spektrum zuordnen kann (Source-Code ist in verschiedenen Repositories, wird später selbstverständlich released). Daraus ergibt sich für jede Partei ein Profil, das sich grafisch darstellen lässt. In den Grafiken wird dargestellt, wo die Masse der Paragraphen nach dieser Metrik politisch verortet ist. Ein größerer Berg auf der linken Seite bedeutet z.B. mehr Paragraphen, die vom Algorithmus politisch links eingeordnet werden.
Die analysierten Parteien zeigen jeweils dort eine große Dichte von Sätzen auf, wo sie gemeinhin politisch verortet werden. Die Grünen und DIE LINKE haben in ihrem Parteiprogramm deutlich mehr “linke” Aussagen als “rechte” Aussagen. Dies überrascht nicht. CDU und FDP zeigen hingegen ein U-förmiges Profil auf, d.h beide Parteien haben tendenziell sowohl viele Aussagen, die dem linken Spektrum als auch dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Dabei ist die Dichte der “rechten” Aussagen bei der CDU leicht höher als die Dichte der “linken” Aussagen. Die SPD findet sich etwa dazwischen wieder und hat eine hohe Dichte an “linken” Aussagen, allerdings mehr “rechte” Aussagen als die Grünen oder DIE LINKE.
Die AfD weist in der Analyse ebenfalls ein U-Profil auf, welches bezüglich der “rechten” Aussagen stärker als die SPD ausgeprägt ist, aber schwächer als CDU oder FDP. Das Parteiprogramm der AfD ähnelt also grundsätzlich dem Profil der klassischen Volksparteien. Das Ganze können wir uns übrigens auch für verschiedene Politik-Felder anschauen und sehen, in welchen Feldern sich bestimmte Parteien stark abgrenzen:
Das Links-Rechts-Profil des AfD-Parteiprogramms unterscheidet sich nicht stark von den Parteiprogrammen von CDU und SPD. Hat die AfD keine eigenständigen Positionen?
Wollen wir trotz der Ergebnisse der Analyse unserer Intuition vertrauen, dass die AfD sich maßgeblich von anderen Parteien unterscheidet, würde dies folgende Implikationen haben:
Hypothese 1: Das Links-Rechts Spektrum ist überholt
Die Analyse wird künstlich vereinfacht, indem sie lediglich auf die Dimension “links-rechts” reduziert wird. Eine Verortung der AfD-Aussagen auf dem Links-Rechts Spektrum greift zu kurz und kann folglich die Neuartigkeit der AfD als Partei nicht abbilden. Als Sammelbecken und “Minimalkonsens” verschiedener Meinungen wird ein Parteiprogramm zudem nie die Klarheit haben, als dass es wirklich die Ausrichtung einer Partei abbilden kann. Deshalb lässt sich das Profil der AfD hier nicht ablesen.
Hypothese 2: Neue Parteien unterscheiden sich zu stark im Sprachgebrauch
Wenn neue Parteien entstehen, benutzen diese ganz neue, mit ihnen zu assoziierende Schlagwörter und setzen gleichzeitig thematisch neue Schwerpunkte. Eine Einordnung, die sich am Sprachgebrauch anderer (und älterer) Parteiprogramme orientiert, kann also keine präzisen Ergebnisse liefern. Das AfD-Parteiprogramm wird also mit einem Werkzeug untersucht, welches nicht geeignet ist, populistische oder neue Ansätze zu erfassen.
Ist die AfD also keine wirkliche “Alternative” im Parteienspektrum?
Anknüpfend an die aufgestellten Hypothesen haben wir eine weitere Analyse durchgeführt. Dazu haben wir die einzelnen Sätze der aktuellen Parteiprogramme in einem Datenraum abgebildet und für jede Aussage untersucht, ob im unmittelbaren Umfeld (ein Indikator für Ähnlichkeit) Aussagen anderer Parteien zu finden sind. Wenn eine AfD-Aussage also lediglich von AfD-Aussagen umgeben ist, ist dies ein Alleinstellungsmerkmal und eine klare Abgrenzung zu anderen Parteien.
Für die AfD haben wir unter anderem folgende Aussagen als Alleinstellungsmerkmale identifiziert:
Die AfD fordert: Schluss mit „Politischer Korrektheit“
Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt.
Einen „Flüchtlings‐Soli“ lehnt die AfD vehement ab
Die AfD tritt daher dafür ein, das EEG ersatzlos abzuschaffen.
Daher setzt sich die AfD dafür ein, die EnEV und das EEWärmeG ersatzlos zu kassieren.
Daher setzt sich die AfD dafür ein, das im April 2015 in den Bundestag eingebrachte restriktive „Fracking‐Gesetz“ zurückzuziehen.
Von diesen Aussagen mag man halten, was man möchte. Grundsätzlich existieren aber eigenständige Positionen - und dies ist bei anderen Parteien in unserem Modell nicht der Fall.
Während Parteien wie DIE LINKE und die FDP noch mit eindeutigen Aussagen erkennbar sind, erkennt der Algorithmus beispielsweise bei der SPD gar keine eindeutige Aussage und bei den Grünen und der CDU nur sehr wenige. Parteien wie CDU, SPD und Grüne lassen sich in ihren Parteiprogrammen so nur schwierig voneinander abgrenzen. Realpolitische Wirklichkeit scheint diese Ergebnisse zu unterstützen: in Baden-Württemberg verhandelt die CDU mit den Grünen, die Große Koalition auf Bundesebene besteht schon drei Jahre.
Wir haben es also mit drei Phänomenen zu tun:
- Einer grundsätzlichen Ähnlichkeit von CDU, SPD und den Grünen
- Das Parteiprogramm der AfD hat viele eigenständige Aussagen.
- Auf einer statischen politischen links-rechts-Skala wirkt die AfD sehr ähnlich zum Profil der etablierten Parteien
Das dritte Phänomen ist ein guter Grund, eine statische Links-Rechts-Einordnung zu kritisieren. Sie erfasst die politische Komplexität nicht vollständig und führt zu undifferenzierten Aussagen.
Um zu entscheiden, ob es sich bei der “Alternative für Deutschland” wirklich um eine Alternative handelt, wird man abwarten müssen, wie genau das Parteiprogramm aussieht, wenn es Ende April wirklich verabschiedet wird, und wie sich das Parteiprogramm in die Tagespolitik überträgt.
Über das Projekt
Projektbeteiligte: Moritz Neeb, Daniel Kirsch, Felix Bießmann, Paul von Bünau, Antje Relitz und Niels Reinhard. Wir sind keine Politikwissenschaftler, keine politischen Aktivisten und auch keine Journalisten. Wir beschäftigen uns primär mit Daten und ihrer Verwertbarkeit. Die AfD-Analyse entstand aus einem Feierabend-Hackathon während unserer Arbeit bei idalab. Die Analyse basiert sehr stark auf der Arbeit von Felix Bießmann im Rahmen des FIPI-Projekts und knüpft an die Arbeit von Daniel Kirsch bei “Code for Münster” an.
Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Vielmehr wollen wir eine Diskussion anstoßen, wie politische Texte maschinell besser analysiert werden können. Wie können Ähnlichkeiten politischer Texte besser bestimmt werden? Wir freuen uns über Inspiration und Austausch mit anderen politisch interessierten Machine Learning Experten und Data Scientists.
Gerne berichten wir auch über die Methodik und unsere Erkenntnisse. Ansprechpartner: Niels Reinhard